Sie

Seit einigen Jahren nutzt sie das Internet auch privat. Sie geht in Foren und Chaträume. Sie experimentiert mit wechselnden Identitäten. Sie flirtet mit Männern, läßt es aber nicht zu realen Treffen kommen. Sie redet sich ein, daß sich das sowieso nicht lohnen würde, weil die meisten Menschen im Internet ein geschöntes Bild von sich entwerfen. Die Realität enttäuscht da nur. Außerdem könnte es gefährlich sein.

Es gibt jedoch einen Mann, für den sie eventuell eine Ausnahme machen würde. Er ist ein bißchen älter als sie, und er schreibt ihr schon seit einiger Zeit. Mit sanfter Beharrlichkeit hat er ihr die eine oder andere erotische Phantasie entlockt. Er hat eine Art an sich, die es ihr leicht macht, sich zu öffnen. Inzwischen freut sie sich auf ihre allabendlichen Internetbesuche. Hat er ihr wieder geschrieben? Sie unterhält sich gerne mit ihm, hat allerdings gelegentlich das Gefühl, dabei mehr von sich preiszugeben, als sie im Gegenzug von ihm erfährt.

Wie konnte es nur dazu kommen? Ausgerechnet sie, die ansonsten gerne alles unter Kontrolle hat, hat ihm schon mehr erzählt, als sie je vorhatte. Jetzt weiß er sogar, daß sie davon träumt, einmal gefesselt zu werden, nackt und in einer hilflosen, vielleicht sogar demütigenden Position. Er würde ihr die Augen verbinden und dann einer gründlichen körperlichen Untersuchung unterziehen. Er selbst wäre dabei angezogen. Er würde mit Zeige- und Mittelfinger über ihre Lippen fahren, nur über die Lippen. Die anderen Stellen ihres Körpers würde er zunächst nicht beachten. Seine Finger wären ein bißchen rauh. Um so weicher würden sich ihre Lippen anfühlen. Wieder und wieder würde er ihre Lippen nachziehen. Er würde den Druck ein wenig erhöhen. Ihr Mund würde sich öffnen und seine Finger hinein gleiten. Seine Finger würde ihren Mund erkunden, sie würden entlang des Zahnfleisches gleiten, auf der Innenseite ihrer Wangen und am Gaumen entlang. Sie würde versuchen, an seinen Fingern zu saugen, aber er würde sie ihr in eben diesem Moment entziehen. Seine jetzt feuchten Finger würden zu ihrem Kinn und dann ihren Hals entlang hinab gleiten, wo sie in der sanften Wölbung über ihren beiden Schlüsselbeinknochen verweilen würde. Ein sanfter Druck, nichts weiter. Sie würde das Zeitgefühl verlieren. Schon jetzt würde ihr Körper nach mehr verlangen. Sie würde sich in ihren Fesseln winden und ihm ihren Körper anbieten, so gut es eben ginge. Sie würde versuchen, seine Aufmerksamkeit auf ihre schönen. vollen Brüste zu lenken, und endlich würde er sich ihrer erbarmen. Aber sein Streicheln wäre so unendlich sanft, viel zu sanft, könnte er denn nicht ihren Nippeln einen Besuch abstatten? Er könnte sie kneifen, aber ach, sie hätte ihm ja vorher das Versprechen abgegeben, nur ihren Körper sprechen zu lassen. Und so würde sie weiter versuchen, seine Hand durch Hin- und Herwinden ihres Körpers an die richtigen Stellen zu bewegen. Die Fesseln würden ihr dabei ins Fleisch schneiden. Seine Hand würde weiter zu ihrem Bauch fahren und endlich auch zwischen ihre Beine. Er würde ihre Beine noch ein wenig weiter spreizen und sie mit zwei, später drei, Fingern ficken... Er würde ihr die Finger wieder entziehen. "Bleib so", würde er mit leiser Ironie sagen "Ich habe da etwas für dich" hinzufügen und den Raum verlassen. Womit würde er zurückkehren?

Creepynight - November 2004