Das Wagnis
Samstags um halb fünf
Noch nicht einmal im Bad hat sie ihre Ruhe vor ihm.
Sie hat sich dorthin zurückgezogen, um sich nach getaner Hausarbeit die
Fingernägel neu zu lackieren. Wieweit ist es mit uns gekommen, denkt
sie, daß ich nun schon ins Bad gehe, nur um meine Ruhe zu haben. Aber
ich mag das einfach nicht, diese Blicke. Dieses verdruckste
Herumschleichen. Es ist Samstag. Wir waren einkaufen, ich habe die
Wohnung in Ordnung gebracht, wir haben nett gegessen. Fehlt nur noch
der Sex. Alles an ihm drückt das aus. Aber er sagt nichts. Er hofft auf
das entscheidende Zeichen von ihr. Das Zeichen zum Aufbruch. Ein Blick,
eine Geste von ihr, und dann geht es ins Schlafzimmer. Samstags halb
fünf in Deutschland. In fünf Minuten haben sie sich beide ausgezogen.
Sie liegen nebeneinander, Haut an Haut, da fällt ihr ein, daß sie
unbedingt noch Anja anrufen muß. Sie haben immer noch kein Geschenk für
Herrn Friedrich. Spätestens am Montag müssen sie sich etwas überlegt
haben. Etwas Freches vielleicht. Nicht zu frech natürlich, aber es
sollte schon etwas Originelles sein. Was schenkt man nur seinem Chef,
wenn er 50 wird? Am Ende werden es doch nur Blumen. Oder ein
nichtssagendes Buch. Wofür interessiert sich eigentlich Herr Friedrich?
Marian hat einen seltsame kleine Erhebung auf seinem Rücken. Es muß
sich um einen Pickel handeln. Mitten auf seinem Rücken. Wenn sie mit
der Hand darüberstreicht, zuckt er ein wenig zusammen. Sie würde gerne
wissen, wie dieser Pickel aussieht. Eine Art perverser Neugier, wie
abstoßend. Sie stellt sich die gerötete Haut rund um den Pickel herum
vor, schmerzhaft gespannt von der Entzündung. Oh nein. Sie würde jetzt
wirklich gerne nachsehen, wie es auf Marians Rücken aussieht, aber das
geht nicht. Marians Hand zwischen ihren Beinen langweilt sie. Er gibt
sich erkennbare Mühe, jeder Handgriff sitzt, das ist ja das Schlimme.
Herr Friedrich kommt jetzt, wo er sich von seiner Frau hat scheiden
lassen, immer mit dem Motorrad zur Arbeit. Ein klarer Fall von
Midlife-Crisis, was sonst. Aber er macht keine schlechte Figur auf
seinem Motorrad. Er soll eine neue Freundin haben. Natürlich viel
jünger. Seine mittelalte Sekretärin lächelt nur vielsagend. Ist doch
nichts dabei. Ein Mann in seiner Position. Da gibt es eben immer mal
wieder Versuchungen. Er ist doch auch nur ein Mann. Und seine Frau
hatte immer so wenig Zeit für ihn. Marian knetet ihre Brüste in bißchen
zu hart. „Liebling...“ stöhnt er und dringt ihn sie ein. Bald werden
sie fertig sein. Natürlich ist es schön. Es ist fast immer schön. Sein
Schweiß tropft auf sie herab. Sie streichelt ihm über den Rücken. Da
ist sie wieder, diese Erhebung. Es ist schön zu spüren, wie er
zusammenzuckt. Sie spürt es bis tief in sich hinein. Sie kratzt ihn
jetzt ein wenig. Nicht an der Entzündung selbst, sondern etwas daneben.
Sie wird immer mutiger, setzt einen langen Kratzer neben den anderen
auf seinen Rücken. Sie stellt sich vor, daß diese Kratzer tiefrot sind.
Sie ist eine Tigerin. Die messerscharfen Krallen einer Großkatze. Sie
bringt ihn dazu, die Position zu wechseln. Sie oben, das ist viel
besser. Sie zwirbelt seine Brustwarzen und hofft, daß es ihm bald
zuviel wird. Sie möchte, daß er sie bittet, aufzuhören. Und dann wird
sie es noch ein klein wenig weitertreiben. Nur ein ganz kleines
bißchen. Nichts dergleichen geschieht. Sie war zu spät. Er kommt mit
einem Schrei und fällt in sich zusammen.
Er rollt sich auf die Seite. Sie spürt die Feuchtigkeit an ihrem
Oberschenkel herabfließen. Eine ganze Welt hat sich gerade vor ihr
aufgetan. Etwas ist geschehen. Sie hat eine Fülle von Ideen.
Später wird er sie wieder so ansehen wie so oft, fragend, ein wenig
unsicher und abwartend. Aber es wird ihr nichts ausmachen. „Du warst so
anders heute“, sagt er und streichelt ihre Hand. Sie lächelt. Immer
noch hungrig, ein bißchen katzenhaft.
Creepynight - April 2005