La donna è mobile

Begegnung mit einem Fremden

"Auf uns!" Max hob sein Glas.

"Heute habe ich alle Zeit der Welt - nur für dich!"

Es gibt Momente, da finde ich die Übertreibungen meine Mannes unwiderstehlich. Jetzt war so einer. Max hatte nicht auf unseren Hochzeitstag vergessen und mich ins "La Donna" , das beste italienische Restaurant der Stadt, ausgeführt. Soviel unerwartete Aufmerksamkeit musste belohnt werden. Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf und prostete ihm zu. Die Gläser klirrten. Der Abend verhieß durchaus Gutes.

Doch schon drängte sich zwischen Antipasti und ersten Gang ein "Di-di-di-di-didi, di-di-di-di-didi" - ebenso aufdringlich wie unabwendbar. Die ersten Takte einer Verdi-Oper, degradiert zum Klingelton. Wie ich diese Mobiltelefone hasste! Und die Verfügbarkeit und vordergründige Wichtigkeit meines Mannes erst recht!

"Schatz, ich muss kurz weg! Es ist wirklich dringend!"

Max sprang auf, warf die Stoffserviette auf den Tisch und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. "Du musst verstehen, es dauert höchstens...."

"Wie lange?"

Die halb verschluckte Antwort ging im Stimmengewirr unter. Schon war Max draußen bei der Tür. Wieder einmal hatte er mich allein gelassen. Dass er dies in einem Nobelrestaurant bei Kerzenschein und Opernarien aus dem Off tat, machte die Situation keineswegs erträglicher. Wut kroch in mit hoch. Wut, in die sich Traurigkeit mischte.

"Signora, was makken wir jezz mit die zweite Porzione?"

War da ein Anflug von Mitleid in den Augen des Kellners zu erkennen?

"Stellen Sie es einfach auf den Tisch, Salvatore. Und bringen sie mir noch ein Glas!" Ich leerte es viel zu schnell, in zwei Zügen. Warum musste ich eigentlich immer alles verstehen? dröhnte es mir durch den Kopf, während ich die Languste in Stücke riss, das weiße Fleisch aus dem Panzer schälte und mir in den Mund schob.

"Hat gesmekkt, Signora?"

"Moltissimo, Salvatore! Complimenti al cuoco!"

Was eine doppelte Protion gegrillter Krustentiere mit einem Hauch von Knoblauch und ein paar Gläser Prosecco ausmachten! Ich hatte meine gute Laune wieder gefunden. Und mein Standardsätzchen, das ausreichte, um Kellnern geheuchelte Begeisterung für meine Sprachkenntnissse abzuringen, ebenso.

Genüsslich und aufreizend langsam schleckte ich die Finger ab, ehe ich sie in die Wasserschale tauchte. Ich warf Salvatore, der den Tisch abräumte, einen frechen Blick hinterher.

Der eigene Mann kann einem wirklich die Sicht auf das Wesentliche verstellen.

Jetzt fielen mir auch die beiden Männer auf, die drei Tische weiter saßen. Hatten sie mich die ganze Zeit beobachtet? Sie unterhielten sich lautstark in einer Sprache, die mir fremd war. Das dunkle Timbre ihrer Stimmen gefiel mir, obwohl ich kein einziges Wort verstand.

Einer der beiden sah mich unverwandt an. Er hatte ein schmales Gesicht, eine markante Nase und dunkle, leicht gewellte Haare, die über den Hemdkragen fielen. Sein Blick war dreist, unverschämt, irgendwie erregend.

Wann hatte mich ein Mann das letzte Mal so angesehen?

Nervös begann ich an meiner Seidenbluse zu nesteln. Wie sollte ich mich verhalten? Verlegen den Kopf zur Seite drehen? Nach dem Kellner rufen und mich beschweren? Den impertinenten Kerl einfach ignorieren? Allzu leicht wollte ich es mir nicht machen. Ich strich mit verführerischer Geste die Strähne aus dem Gesicht und erwiderte seinen Blick.

Mehr noch - ich versuchte ihm standzuhalten.

Mein Herz begann laut zu klopfen. Hitze stieg in mir hoch, kroch meinen Hals entlang, hoch bis zu den Schläfen. Ob das am Prosecco lag? Oder an meinem geheimnisvollen Gegenüber? Wo mein Mann nur so lange blieb! Wollte er nicht längst zurück sein? War dies nicht gerade der beste Moment, um n i c h t an ihn zu denken?

Abrupt stand ich auf und steuerte mit raschen Schritten auf die Tür der Damentoilette zu - die brennenden Falkenaugen im Rücken. Ich beugte mich über das Waschbecken, ließ kaltes Wasser über meine Handgelenke rinnen. Was für eine Wohltat! Bedächtig tupfte ich die Hände trocken. Dann massierte ich mit den Fingerkuppen die Stirn und presste die Mittelfinger gegen meine pulsierenden Schläfen.

Was war das für ein Geräusch?

Hatte jemand den Raum betreten?

Spürte ich heißen Atem in meinem Nacken, oder bildete ich mir das nur ein? Ich hob den Kopf und schaute in den Spiegel. Sein Blick schlug in meinen ein. Ruckartig fuhr ich herum.

"Was machen Sie da? Das ... das ist doch eine Damentoilette!" stotterte ich.

"Haben Sie mich wirklich nicht erwartet?"

Seine Stimme und die Art, wie er das "r" rollte, jagten mir einen Schauer über den Rücken. "Doch!"

Ich holte aus meinem Toilettentäschchen den Lippenstift und drehte ihn langsam, sehr langsam, aus der goldenen Hülle. Sorgfältig zog ich die Lippen nach, glitt mit der Zunge prüfend über das samtige Rot.

"So, jetzt bin ich wieder okay. Wir können... Sie haben doch Lust auf ein Dessert?"

Polly - November 2004