Melanie Delfft hat eine Rezension des umstrittenen Romans „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche geschrieben und sie mir zur Veröffentlichung im Lustgespinst zugeschickt – herzlichen Dank!
Feuchtgebiete. Mal anders.
Es kamen letztens zwei Freundinnen bei mir an und legten mir ein Buch in die Hand, – ich wohne ja in Frankreich – “wir wollten dich mal fragen”, sagten sie, “ob man das als Literatur bezeichnen kann”. Als
hätte ich da Ahnung. Ich machte es irgendwo auf und las:
“Also habe ich mich zu einem lebenden Muschihygieneselbstexperiment gemacht. Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen. Ich wische sie auch vor dem Hinsetzen mit meiner Muschi in einer kunstvoll geschwungenen Hüftbewegung einmal komplett im Kreis sauber. Wenn ich mit der Muschi auf der Klobrille ansetze, gibt es ein schönes schmatzendes Geräusch und alle fremden Schamhaare, Tropfen, Flecken und Pfützen jeder Farbe und Konsistenz werden von meiner Muschi aufgesogen.”
Hier kriegt natürlich jeder normale Mensch eine Gänsehaut. So bauz mitten rein ins Allerekeligste, wovor wir alles tun, uns zu schützen: dem Anderen, das in uns eindringen könnte, das Krankhafte, das unsere Ganzheit zerstören will, und sowieso, unsere Einbildungskraft ist so geschult – das Igittigitt unserer Mutter knallt uns aufs Ohr – dass wir uns schon von den Worten von Frau Roche beschmutzt fühlen und das weiß Frau Roche, die ihren Eltern das Buchlesen ersparen will, um sie nicht zu verletzen.
Doch schriftstellerisch eine Leistung des luftigen Ausdrucks im Dienst einer ernsteren Sache, schon mal allein im Titel, der sachlich-fachlich so viel versteckt: Gebiete in die man leicht einsackt, versackt, in denen man versinken kann. Gebiete des Körpers und der Seele denn es sind in ihr so viele Tränen, die die junge Erwachsene nicht weinen kann. Die rohe Erotik als Ausweg, Veräußerlichung, Projektionen an den Rand, dahin wo das Feuchte austritt, sich verläuft ins Gelebte, in dem sie sich wälzt, in dem sie sich findet, oder vielleicht nicht sich, sondern etwas in ihr, das ihr gut tut.
Denn ausdrücken will sie sich, das aus sich drücken, das auf ihr lastet und das ist ganz einfach das, was vielerorts in ihrer Generation vor sich geht, Familien, die Eiland sein sollten, zersplittert in Einzelindividuen, die wiederum in ihren eigenen Sümpfen waten.
Und wir, die Leser, stehen davor wie’s scheint, auf sicherem, trockenem Land, das Gott von den Wassern getrennt hat, so dass wir wissen was gut ist, was böse ist, was schmutzig ist, was sauber. Doch unsere Seelen wissen, was tief sich in uns abspielt, denn auch wir haben unsere Feuchtgebiete, in Verliesen abgesperrt, versteckt im Dunklen, und leben im schönem Scheinen.
Doch ehrlich, selten hat mir ein deutsches Buch so viel Spaß gemacht als ich anfing, es von Anfang an zu lesen. Die Autorin springt sofort mitten in den Analbereich, um den ihr ein Blumenkohl wächst, der sie nicht daran hindert dort Verkehr zu haben und auch noch zu orgasmieren, wenn mir auch ein Neologismus gestattet ist, denn davon ist das Buch gespickt. In Frische und Frechheit und Offenheit wird viel Flora und Fauna herangezogen, uns in vergleichenden Metaphern zu sagen, seht, es ist alles Natur, das Ekelhafte ist im Auge des Beschauers, aber ihr schaut nie richtig hin und seht nicht, was mit uns passiert und ich fordere Euch, verlange dass Ihr mir zuhört.
Und in Frische und Frechheit lässt die Autorin nichts aus, was wir an versteckter Körperlichkeit mit uns tragen, sie läuft praktisch mit geöffnetem Arsch herum, um den sie immer neue fleischliche Blüten
wachsen lässt, denn sie ist witzig und erfindungsreich.
Dies ist ein Buch der Unmöglichkeiten auf die Spitze getrieben, eine ernste Satire voller Unsinnigkeiten – eine Gattung mit einer Reihe von Vorläufern, von Jonathan Swift und Rabelais bis Michel Houellebecq – das uns grinsend einen verzerrenden Spiegel vorhält, wo wir uns sehen, wie wir nicht sein wollen, doch sind wir : unsicher und – gloriose deutsche Sprache – schein-heilig, und vergessen wir nicht, vor fünfhundert Jahren wären Frauen wie Charlotte Roche von den Scheinheiligen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.
Melanie Delfft lebt und schreibt in Südfrankreich. Lies auch die Rezension Ihres Romans „Mein Lied“ oder besuche ihre Homepage.