Let’s roll!

Selten wagt sich ein Autor ans Thema „Erotik und Behinderung“ ! Diese berührende Geschichte ist im Kurs “Erotisch schreiben” entstanden. Ich danke dem Autor Frank E. Pank für die Erlaubnis, sie hier zu veröffentlichen.

Nach ihrer Runde über den Wochenmarkt steuerte sie auf ihre Stammkneipe, das Markteck, zu. Manni, der Wirt, hatte sie schon durch das große Glasfenster näher kommen sehen und hielt ihr die Tür auf.
„Hallo, Steffi!“ begrüßte er sie. „Wie üblich?“
Sie steuerte einen Tisch ohne Stühle an, zog die Bremse ihre Rollstuhls an und antwortete: „Klar, Manni, wie üblich.“ Sie sah sich kurz um. Nur ein Jugendlicher saß am Tresen und blätterte in einer Zeitschrift, sonst war die Kneipe leer.

„Und noch einen Flammkuchen bitte“, rief sie Manni hinterher. Sie atmete innerlich auf – wie immer, wenn in der Kneipe so gut wie nichts los war. Die Ruhe hier war besser als der der Trubel und die Menschenmassen auf dem Markt, und zum Glück plätscherte bei Manni nur gedämpfte Musik aus den Lautsprecherboxen.

Aus ihrer Tasche nahm sie den neuesten Liebesroman von Nicholas Sparks und schlug ihn kurz vor dem Ende an der Stelle auf, die mit einem Lesezeichen markiert war. Zu schnell hatte sie auch dieses Buch von Sparks verschlungen. Eigentlich hätte sie sich beim Lesen bremsen sollen, um es noch länger genießen zu können.

Manni brachte ihr ein Weizenbierglas mit hellbeigem, trübem Inhalt. „Bitte sehr, ein Bananenweizen. Wohl bekomm’s. Flammkuchen kommt gleich.“

„Dankeschön“, antwortete sie, ohne von ihrem Buch aufzublicken, und nippte von ihrem süßen, beinahe cremigen Getränk.

„He“, hörte sie eine männliche Stimme in ihrem Rücken rufen, „gilt für Rollifahrer denn nicht auch die 0,8-Promille-Grenze?“

Sie drehte sich um. Der Jugendliche, der alleine am Tresen saß, grinste sie mit himmelblauen, blitzenden Augen an.

„Ich habe keinen Führerschein, da kann ich auch keinen verlieren“, antwortete sie ihm, während sie ihn von oben bis unten ansah. „Was machst du eigentlich hier um diese Zeit? Schule schwänzen?“

„Ach was, Schule!“ Er warf den Kopf in den Nacken, schüttelte seine braunen, etwas zerzausten Haare und lachte. „Ich bin Student und habe heute Morgen keine Vorlesungen an der Uni. Ich werde immer jünger geschätzt. Letztens wollten sie mich aus dem Beate-Uhse-Laden rausschmeißen. Zum Glück hatte ich meinen Personalausweis dabei. Als Entschuldigung haben sie mir einen Päckchen Kondome geschenkt.“

Sie bewunderte seine makellosen, weißen Zähne, die sie anstrahlten. „Ja, klar. In deinen Träumen vielleicht“, sagte sie, und widmete sich wieder ihrem Buch. Sie wollte endlich wissen, wie es ausging.

Plötzlich stand er vor ihr und hielt ihr seine Hand hin. „Hi, ich bin Christian. Kannst auch Chris sagen. Ist ökonomischer.“

Sie seufzte und blickte wieder auf. Er trug Jeans und eine Jeansjacke, darunter ein einfaches weißes T-Shirt, unter dem gut ausgebildete Brustmuskeln zu erkennen waren. Sie kämpfte kurz mit sich. Irgendwie fand sie ihn schon nett und sympathisch. Okay, sie würde ihm eine Viertelstunde geben, in der er sie vollquatschen konnte, wenn er wollte. Danach würde sie wieder in Ruhe weiter lesen. Zur Not würde Manni ihr zur Hilfe kommen.

„Ich heiße Steffi. Weißt du überhaupt, was ‚ökonomisch’ bedeutet? Studierst du etwa BWL?“ Sie reichte ihm ihre Hand und spürte einen sehr kräftigen, beinahe schmerzhaften Händedruck.

„BWL!“ Er verzog sein Gesicht, wie ein kleiner Junge, der Spinat mit Lebertransauce zum Essen vorgesetzt bekam, und nahm sich einen Stuhl von einem Nachbartisch. „Nein, ich studiere Sport.“

„Oh. Schön. Wirklich gut.“ Sie spürte plötzlich, wie es in ihren Augen brannte. Sie wandte ihren Kopf von ihm weg, am liebsten wäre sie fortgerannt, aber sie war ja an diesen verdammten Stuhl gefesselt. Hatte sie seit dem Unfall denn noch nicht genug geweint? Musste sie das jetzt auch noch vor diesem Jungen tun, der mit Sicherheit 10 Jahre jünger war als sie?

Sie spürte eine leichte, warme Hand auf ihrer Schulter und konnte nicht widerstehen, sie zu berühren.

Chris ließ seine Hand unter ihrer und redete beruhigend auf sie ein. „He, was ist denn? So schlimm wird es nicht sein. Was … Oh!“

Sie sah ihn an, er hatte seine dichten, geschwungen Augenbrauen gehoben, und seine Stirn war voller Falten. „Du … Hast du früher etwa auch Sport studiert?“

Sie nickte und schluckte ihre Tränen hinunter. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, härter zu sein, seit Peter sie verlassen hatte.

„Was ist passiert?“ fragte er mit leiser, sanfter Stimme.

Seit Monaten war ihr kein Mann mehr so nahe gekommen – von den Krankenpflegern, die dafür bezahlt wurden, einmal abgesehen. Viele Gefühle gingen ihr durch den Kopf. Wie schön es wäre, diesen jungen, muskulösen Körper auf ihrem zu spüren. Jedenfalls auf dem Teil ihres Körpers, der noch spüren konnte. Aber wie abstoßend musste sie auf ihn wirken?

Früher war sie mal eine beliebte Schönheit gewesen, erfolgreich in ihrer Lieblingsdisziplin, der rhythmischen Sportgymnastik. Sie hatte sich grazil, biegsam und würdevoll bewegen können und war eine große Nachwuchshoffnung gewesen. Aber jetzt, jetzt war sie nur noch ein bemitleidenswerter Krüppel, der unterhalb des Bauchnabels nichts mehr fühlen oder bewegen konnte, verurteilt zu lebenslanger Einsamkeit.

„Ein Autounfall“, sagte sie schließlich widerwillig.

Er zögerte kurz, dann sah er sie fragend an. „Eben sagtest Du, du hättest keinen Führerschein.“

„Mein Freund ist gefahren.“

„Hatte er zu viel getrunken?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ist euch jemand rein gefahren?“

Sie schüttelte wieder den Kopf.

„Ein Flammkuchen, bitte sehr.“ Manni brachte den Teller mit ihrem Essen und stellte ihn auf den Tisch. Sie zuckte zusammen und wischte schnell Tränenreste aus ihren Augenwinkeln. Manni legte Messer und Gabel, die in eine Serviette eingerollt waren, neben den Teller und beäugte Chris misstrauisch. „Alles in Ordnung?“ fragte er.

„Alles wunderbar.“ Sie lächelte. „Der junge Mann unterhält sich nur mit mir.“

„Na, dann guten Appetit.“ Manni ging wieder hinter seinen Tresen.

„Lass dir’s schmecken“, sagte Chris.

Sie betrachtete den dampfenden Flammkuchen. „Ich glaube, ich habe keinen Hunger.“

„Unsinn! Ich helfe dir.“ Er nahm seine Hand von ihrer Schulter, griff sich das Messer und schnitt den Flammkuchen in Achtel. Er hielt ein Stück vor Steffis Mund. „So, ein Bissen für Chris, ein Bissen für Manni …“

„Ich kann nicht“, sagte sie, musste aber dennoch lachen.

Er biss in das Achtel in seiner Hand. „Hm, schmeckt aber auschgescheischnet.“ Nun kamen ihm Tränen, und er machte Grimassen. „Nur sehr heiß. Sehr, sehr, seeehr heiß.“ Nachdem er mühsam gekaut und untergeschluckt hatte, pustete er auf das angebissene Stück in seiner Hand, als müsse er einen Großbrand allein mit seinem Atem löschen.

„Ist ja schon gut“, rief sie und biss schnell in das Stück – drei Happen, und es war verschwunden. Sie schmeckte die leicht scharfen Zwiebeln, den würzigen, sauren Cremebelag und merkte, wie ihr Appetit wieder kam.

„He, nicht so schnell, du hättest beinahe meinen Zeigefinger erwischt“, protestierte er mit gespieltem Entsetzen.

„Na und, du hast ja noch einen.“ Sie grinste. „Da klebt noch ein Stück Zwiebel.“ Sie nahm seinen Zeigefinger sanft zwischen ihre Lippen und lutschte ihn genüsslich sauber. „Du hast Recht, schmeckt echt lecker.“ Sie leckte mit ihrer Zunge über ihre Lippen. „Mehr!“ verlangte sie.

„Dafür dass du eben gar nichts essen wolltest, hast du jetzt einen erschreckenden Appetit.“ Er betrachtete seinen glänzenden Finger.

„Ja, gib mir besser noch ein Stück, sonst muss ich mich an deinem Arm gütlich tun.“

„Okay, okay, Miss Scheunendrescher, kommt prompt.“

Umsorgt und gefüttert von Chris, aß sie ein Stücke nach dem anderen bis auf den letzten Krümel auf. Schon lange hatte sie beim Essen nicht mehr so viel Spaß gehabt und so viel gelacht. Jetzt saß sie satt und träge in ihrem Rollstuhl und trank von ihrem Weizenbier.

„Vielen Dank, Chris. Kann ich dir was Gutes tun? Wie wär’s mit einem leckeren Bananenweizen?“

Er hob abwehrend die Hände: „Um Gottes Willen! Brrr, allein der Gedanke!“ Er schüttelte seine breiten Schultern. „Dann doch lieber einen Eierlikör. Oder ein Prosecco.“ Die letzten Worte sprach er nasal und gestikulierte feminin mit seinen Händen.

Sie lachte. „Okay, ich hab’s verstanden. Hätte der Herr sonst gerne etwas?“

Er überlegte kurz und sah sie an. Der Humor war mit einem Mal aus seinen Augen verschwunden, und sie erkannte nur noch Ernsthaftigkeit darin. „Du bist mir noch eine Antwort schuldig“, sagte er.

Sie betrachtete lange den leeren Teller vor ihr, dann nahm sie tief Luft. „Ich habe ihn abgelenkt, und er fuhr gegen einen Baum.“

Er nickte. „Was ist deinem Freund passiert?“

„Er war angeschnallt, und sein Airbag löste aus. Er hatte einige Knochenbrüche und Prellungen, aber nach wenigen Tagen konnte er aus dem Krankenhaus.“

„Und du? Warst du nicht angeschnallt? Hatte das Auto keinen Beifahrer-Airbag?“

„Doch. Und den Gurt hatte ich abgelegt.“

„Was? Aber wieso?“

Sie hob ihren Blick, sah ihm ins Gesicht, sah seine Augen mit den langen, schwarzen Wimpern, seine kleine Nase über den schmalen Lippen, das Grübchen im Kinn.

Dann sagte sie: „Ich hatte ihm einen geblasen. Wir waren auf einer Party gewesen, und ich war ziemlich betrunken. Da er fahren musste, war er nüchtern geblieben. Um ihm etwas Gutes zu tun, habe ich seine Hose aufgemacht, seinen Schwanz rausgeholt und ihn in meinen Mund genommen.“

„Oh, Scheiße“, flüsterte er. „Du musst das nicht erzählen.“

„Er wollte es eigentlich gar nicht“, fuhr sie fort, als hätte sie seine Worte nicht gehört, „aber ich blöde Kuh hatte das mal in einem Buch gelesen, und es hatte sich geil angehört. Aber das ist der Unterschied zwischen erfundenen Geschichten und der Realität. Allzu schlecht habe ich es dann wohl doch nicht gemacht, denn er ließ mich gewähren und hat rumgestöhnt, dass ich es ihm weiterbesorgen soll. Irgendwann kam er, und als ich sein Sperma in meinem Mund schmeckte, musste ich würgen und habe es ausgespuckt.“

Sie trank einen großen Schluck von ihrem süßen Bananenweizenbier, als müsse sie die Erinnerung an den bitteren Geschmack in ihrem Mund wegspülen.

„Während er sich die Sauerei auf seiner Hose und dem Sitzpolster betrachtete und sich tierisch aufregte, kamen wir von der Straße ab. Als wir auf den Baum prallten, war mein Kopf noch zwischen seinen Beinen.“

„Hat er dich verlassen?“

„Ja, er gab mir die Schuld an allem und hatte schon nach ein paar Wochen eine neue, gesunde, nette Freundin. Mit der er jetzt verheiratet ist und zwei nette Kinder hat.“

Chris nickte, als könne er ihn gut verstehen. Dann sprang er auf. „Manni, die Rechnung für die Dame und für mich!“

„Was hast du vor?“ fragte sie ihn.

„Lass uns rausgehen“, sagte er. „Meine Vorlesungen heute Nachmittag sind nicht so wichtig. Und nach dem Essen soll man sich doch bewegen.“

Sie sah ihn an, seine beneidenswerte Sportlerfigur, sein unbekümmertes Lächeln und seine strahlend blauen Augen. Wieso nutzte sie den Moment nicht? War es nicht egal, warum er etwas mit ihr unternehmen wollte? Sei es aus Mitleid, aus Neugier, aus Sympathie oder aus …

Sie schüttelte den Kopf.

Er hob ungläubig seine Brauen. „Wie? Heißt das Nein?“

„Ich …, ich glaube, es wäre besser, wenn …“ Sie stockte.

„Ich aber nicht.“ Chris nahm seine Geldbörse aus einer Hosentasche und legte einen Geldschein auf den Tresen. „Stimmt so.“

Manni nahm den Schein nicht, sondern sah Steffi an. „Alles klar?“ fragte er.

Sie atmete einmal tief ein und aus. „Alles klar“, sagte sie und nochmals „alles klar“, als wolle sie es sich selbst bestätigen. Sie nahm den Liebesroman, der auf dem Tisch lag, klappte ihn zu und stopfte ihn in ihre Tasche. Sie hatte sie keine Lust mehr, ihn zu lesen.

Sie löste die Bremse ihres Rollstuhls und lächelte zuerst Manni, dann Chris an. „Okay, let’s roll!“

Chris öffnete ihr die Tür der Kneipe und verbeugte sich vor ihr wie ein dienstbeflissener Pförtner. „Let’s roll, madam!“

Ein Gedanke zu „Let’s roll!“

  1. Hallo, war auf jedenfall die beste Geschichte auf deiner Seite. Ist schon sehr mutig eine erotische Geschichte mit einer Behinderung zu schreiben. Zum Glück liegt das eigentliche Geschehen vor der Behinderung, ich weiss nicht ob es danach so gut gekommen wäre. Vieleicht mit einer eleganten Umschreibung?

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