Sie und Er

Sie war sich nicht sicher, das richtige getan zu haben!

Und sie wusste auch nicht, ob es gut enden würde.

Aber mitten in ihre Zweifel hinein, verspürte sie eine ungeheuere Erregung, wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Ihr ganzer Körper vibrierte unablässig und dadurch, dass sie bewegungsunfähig war, konnte sie auch gar nichts dagegen unternehmen.

Würde sie denn etwas ändern, wenn sie es könnte? Sie wusste keine Antwort darauf. War ja auch völlig egal.

Wieviel Zeit wohl vergangen war? Im Finstern verlor man als erstes das Zeitgefühl. Sie hatte das vor einigen Wochen in einem Artikel über Dunkelhaft gelesen. Der hatte sie damals auch auf merkwürdige Weise erregt.

Sie verlagerte ihr Körpergewicht von einem Fuss auf den anderen und sofort meldeten sich ihre Fesseln wieder. Wenn sie ganz ruhig stand, spürte sie kaum etwas.

Aber auch das war ein Impuls, der sie eigenartig und heftig erregte: das Spüren der Seile, mit denen sie zusammengebunden war. Einmal physisch, es war einfach ein unbekannter Reiz am ganzen Körper, sie war zum erstenmal in ihrem Leben gefesselt.

Aber nicht minder psychisch. Das Gefühl ausgeliefert zu sein. Nichts tun zu können. Sie konnte es nicht erklären, aber es war so, schon der Gedanke daran, jagte ihr wohlige Schauer durch den Körper.

Obwohl das absurd schien, weil sie Abteilungsleiterin war, gewandt, selbstbewusst, und wenn schon, dann eher dominant im Umgang mit Mitarbeitern. Notgedrungen, wenn man in einer Führungsposition war.

Sie hatte versucht, ihm diesen Widerspruch zu erklären, aber es war ihr nicht recht gelungen. "Du musst Dir erst einmal klar werden, was Du selbst willst" hatte er gesagt. "Du kannst so sein oder so, ganz egal. Du musst nur das sein, was Du sein willst. Uneingeschränkt!"

Hatte sie verstanden, was er meinte?

Ob er wohl im Raum war? Sie versuchte immer wieder in die Stille zu lauschen, ob sie Geräusche von ihm hörte, sein Atmen wenigstens. Als sie vorhin beinahe Panik gekriegt hätte, weil sie sich alleine, gefesselt und mit verbundenen Augen gefürchtet hatte, da kam plötzlich seine Stimme, als ob er es gespürt hätte: "Ich bin da. Dir kann nichts passieren. Du brauchst keine Angst zu haben!"

Schon alleine diese ruhige, sichere Stimme zu hören hatte genügt und ihre Angst war verflogen. Und trotzdem! Es war der helle Wahnsinn! Sie kannte diesen Menschen überhaupt nicht. Sie hatte vor ein paar Monaten angefangen, im Internet nach einschlägigen Seiten zu suchen, in denen es um Unterwerfung ging, um submissives, devotes Verhalten, wie es im Jargon hieß. Sie war neugierig, weil sie eine solche Seite vage in sich zu verspüren glaubte. Sie war auf eine Fülle von web pages gekommen, die meisten eher schauerlich. Dann hatte sie diesbezügliche Kontaktanzeigen gefunden und nach längerem Zögern auf einige von sogenannten Doms geantwortet. Das Ergebnis war teilweise erschreckend. Etliche Antworten kamen von Leuten, die ganz offensichtlich psychisch gestört waren. Und die Sprache: da wurde nur von Sklaven gesprochen und von Verträgen, die jeden vernünftigen Menschen abschrecken mussten.

Sie war schon kurz davor gewesen, aufzugeben, da kam seine Zuschrift. Sie war völlig anders, als alle anderen. Es entspann sich eine Korrespondenz über einen längeren Zeitraum. Eine ganz normale Korrespondenz, wenn man so wollte, nur das Subjekt war ein außergewöhnliches. Sie hatte zunächst versucht distanziert in der dritten Person zu schreiben, wollte ihre Betroffenheit nicht preisgeben, war aber dann häufig mit zunehmender innerer Erregung in die "Ich"-Form verfallen. Aber das war an ihm gerade das Faszinierende: er sprach darüber, wie über ein ganz normales Thema. Erklärte, wenn ich Fragen hatte, ging auf mich ein und schien sich wirklich für mich als Person zu interessieren.

Und schließlich war es so weit: wir vereinbarten dieses erste heutige Treffen. Ich ging zu ihm. Natürlich wusste ich, dass einem alle davon abrieten. Zur eigenen Beruhigung schickte ich Edith eine Email, bevor ich aus dem Haus ging, in der ich die Adresse nannte und sie bat, die Polizei zu verständigen, falls ich mich heute Abend nicht telefonisch bei ihr melden würde. Es war zwei Uhr nachmittags. Mein Handy hatte ich ausgestellt.

Ich hatte sofort Vertrauen zu ihm. Er war nicht extra liebenswürdig oder anbiedernd, er versuchte nicht irgendeine Situation herbei zu führen, er strahlte einfach Ruhe und Sicherheit aus. Ja, er hatte genau das, was ich mir immer unter Autorität vorgestellt hatte.

Wir sprachen miteinander und er fragte mich, was ich genau wolle.

Ich erwiderte, dass ich das selbst nicht wisse und dass ich gerne mal an meine Grenzen gehen würde.

Er sah mich an und sagte: "Gut!"

Nichts weiter. Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann sagte er unvermittelt: "Zieh Dich aus!"

Es ist schwer zu beschreiben, was in mir vorging. Einerseits war ich wie vor den Kopf gestoßen, mein Herz fing an zu rasen und alles in mir sträubte sich wie wild dagegen, andererseits strömte ein heißer Strahl der Erregung durch meinen Körper wie nie zuvor.

Er saß mir gegenüber in einem Sessel und deutete stumm mit ausgestrecktem Arm auf die Mitte des Zimmers.

Ich stand mit weichen Knien auf, konnte kaum gehen, ging an den zugewiesenen Platz und fing mit zitternden Händen an, mich langsam auszuziehen.

Er saß völlig ruhig da, zeigte keinerlei Gefühlsäußerung und sah mir zu.

Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so vor einem Mann entblößt. Natürlich empfand ich Scham. Sogar Empörung. Aber das Merkwürdige war, je mehr Scham und Empörung ich empfand, desto stärker wurde die Erregung. Es war wie ein Teufelskreis und ein Zwang. Ich wollte mich vor ihm entblößen. Ich musste mich vor ihm entblößen. Ich wusste, dass nichts anderes als nur meine völlige Nacktheit zwischen uns sein konnte. Alles andere hätte nicht gestimmt, hätte die Sache sofort abgebrochen.

Schließlich stand ich nackt vor ihm. Er sah mich eine Weile an, dann machte er mit einem Finger eine Drehbewegung und ich zeigte mich ihm von hinten.

Wenn ich es jetzt rückschauend betrachte, kam da ein Augenblick, wo die Spannung nachließ. Ich war nackt, er war angezogen. Und nun?

Er stand auf und sagte: "Komm mit!"

Wir gingen in ein kleines Zimmer, in dem die Vorhänge zugezogen waren und dessen gesamte Möblierung aus einem Stuhl, einem Schrank und einem in der Mitte befindlichen Holzpfahl bestand, der vom Teppichboden bis zur Decke reichte.

Er fasste mich am Arm, schob mich in die Nähe dieses Stammes und ging zum Schrank. Dann trat er hinter mich.

"Nimm die Arme zurück!"

Und dann fesselte er mich. Mit weichen Seilen: erst die Handgelenke, dann die Oberarme, zog die Stricke oberhalb und unterhalb und zwischen die Brüste, machte eine Schlaufe um die Taille, führte das Seil durch meinen Schritt, wobei er vorsichtig meine Schamlippen etwas öffnete, um mein Fleisch nicht einzuzwängen, führte das Seil weiter durch die Pospalte und verknotete es irgendwo auf dem Rücken.

Dann band er noch meine Beine zusammen, oberhalb der Knie, unterhalb der Knie und schließlich die Fußgelenke. Vorsichtig hob er mich an und stellte mich mit dem Rücken an den Pfahl, wo er mich an etlichen Stellen fixierte und irgendwann stand ich einfach da und konnte machen, was ich wollte...nichts konnte meine Lage verändern.

Er hatte während der gesamten Prozedur fast immer hinter mir gestanden und die paar Male, wo er vor mir agierte, keinerlei Blickkontakt zu mir aufgenommen. Und dann kam von hinten plötzlich eine Maske vor meine Augen und ich konnte absolut nichts mehr sehen.

"Wenn Du nicht mehr möchtest oder aus irgendeinem Grund nicht mehr kannst, sage einfach ‚Eisberg', ich mache Dich dann sofort los! Ok?" Ich nickte.

Durch den Vorgang des Fesselns hatte sich die Erregung in mir wieder gesteigert. Ich hatte ihm keinerlei Widerstand geleistet und auch nicht das Bedürfnis dazu gehabt. Die Neugier auf die ungewohnten Empfindungen war das Dominierende gewesen.

Als ich aber dann einige Zeit bewegungsunfähig und in Finsternis stand, da kam dann jener Punkt, der fast Panik in mir ausgelöst hätte. Mich befiel plötzlich Angst und alle Zweifel an meinem Tun, brachen über mir zusammen.

Aber seine Stimme hatte mich beruhigt, noch ehe es zum wirklichen Zusammenbruch kam. Ob er mich ansah, wie ich so gefesselt vor ihm stand? Völlig hilflos und ihm ausgeliefert?

Insgeheim hoffte ich es. Ich empfand Stolz bei dem Gedanken. Hingabe, die ich ihm - und nur ihm - schenken wollte. Völlige Hingabe. Ich würde lange so stehen bleiben, um ihm zu gefallen. Ich gehörte ihm. Und er wusste es. Er würde mich erlösen, wann immer es ihm gefiele.

Und das war gut so.

Peer - November 2004