One Night in Bangkok

Wer mir gesagt hätte, die "Asien-Pazifik Konferenz für Regionale Wirtschaftsförderung" könne mich in irgendeiner Form aus dem Gleis werfen, den hatte ich nur mitleidig belächelt.

Sie fand im Grande Ballroom des Hyatt statt, einem riesigen fensterlosen Saal mit schweren Kristallüstern an der Decke und pseudo-klassischen Stucksäulen an den Wänden. Die Klimaanlage war wie üblich knapp über dem Gefrierpunkt justiert, aber wir saßen ja alle in dunklen Anzügen oder Kostümen da. Nur, wer in der Pause mal kurz aus dem Hotel ging, den trafen die feuchtheißen 34 Grad Außentemperatur wie ein Hammerschlag.

Die Tagung war so gut wie zu Ende, gerade lief die letzte Veranstaltung, dann kam noch ein kurzer Cocktail und schließlich das große Gala-Dinner für die 800 Teilnehmer. Dem sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen, weil ich bei solchen Gelegenheiten immer zu viel aß und dann wieder verstärkt um den Park joggen musste, um mein Gewicht einigermaßen zu halten. Ich spielte mit dem Gedanken mich unauffällig vorzeitig zu verdrücken.

Sie kam unvermittelt von hinten, beugte sich zu mir und deutete auf den freien Platz neben mir. Ich warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu und nickte, weil eben eine Reihe junger Damen in silbernen Miniröcken und Stiefeln mit Plateau-Sohlen auf die Bühne kamen. Jede trug die Fahne eines der Mitgliedsländer und sie sahen aus, als wären sie gerade aus dem Jahr 1969 abgehauen. Ich drehte mich zu meiner Nachbarin, um zu testen, ob man mit ihr ein paar lästerliche Worte austauschen konnte, und blickte voll in ihr Gesicht. Offensichtlich hatte sie mich gerade von der Seite gemustert. Sie lächelte mich an. Nein, sie strahlte mich an! Nein, sie...um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht, wie es genau war, ich sah in ihre Augen und es war dieser Blick, der mir sofort durch und durch ging, der mein vom Konferenztag müdes Inneres durcheinanderwirbelte und alle Sensoren in Erregung versetzte.

Auch, wenn ich es nur ungern zugebe: meine Reaktion darauf war ziemlich einfallslos und spießig, ich nestelte eine meiner Visitenkarten aus der Tasche und reichte sie ihr. Sie nahm sie mit einem freundlichen Lächeln, öffnete ihre Handtasche und holte mit sicherem Griff eine ihrer Karten heraus. Und dann kam das nächste: ohne Brille ging bei mir gar nichts mehr. Endlich las ich dann: Sally Carner. Laut Karte arbeitete sie für die Vereinten Nationen in Neuseeland. War sie Neuseeländerin? Sie war mittel oder rotblond mit ein paar sichtbaren Sommersprossen, eher helle Haut, graublaue Augen, kein großes Make up, dunkelblaues Business-Kostüm, weiße Bluse, Perlenkette, gewellte Haare schulterlang...ich würde sagen Mitte vierzig.

"Arbeitest du in Thailand?" Englisch hatte den Vorteil, dass auf das trennende "Sie" verzichtet wurde. Ich nickte "Ja, hier in Bangkok".

Ich roch ihr Parfüm, damenhaft und dezent, nicht zu süß...ich wäre ihr gerne näher gekommen. Inzwischen hatte Musik eingesetzt, die Mädels auf der Bühne hielten die Fahnenstangen und wiegten sich dazu schüchtern und steif in den Hüften.

"Sieht aus wie schlechtes Table Dancing!"

Ich beugte mich so nahe wie möglich zu ihr, ohne aufdringlich zu wirken. Sie sah mich an, lächelte amüsiert und zog bedauernd die Brauen hoch: "Da kann ich nicht mitreden, ich habe leider noch nie Table Dancing gesehen!"

Hatte sie leider gesagt?

Die Show war zu Ende, der Saal leerte sich, draußen im Foyer gab es jetzt Cocktails. Ich wich nicht von Sally's Seite, aber auch sie machte keine Anstalten, sich von mir abzusetzen, was ja leicht gewesen wäre, ein Hinweis auf die Toilette hätte genügt oder das charmante Lächeln zur ausgestreckten Hand: "Well, it was nice to have met you..."

Unsere Unterhaltung ergab folgendes: Sie war Neuseeländerin, lebte in Auckland, hatte aus New York kommend hier für die Konferenz einen Zwischenstop gemacht und flog heute Nacht gegen zwei Uhr weiter nachhause. Ihr Gepäck war bereits am Flughafen, sie wusste nicht, wie sie die Zeit bis zum Abflug verbringen würde, höchstwahrscheinlich in der Lounge ihrer Airline.

Grausames Schicksal! Gerade hatte ich mich unsterblich in ihre Augen, ihr Lachen, ihre sportliche Figur und ihr Parfüm verliebt, schon drohte das Ende!

Zum Dinner saß sie am Tisch der neuseeländischen Botschaft, wohin ich ihr nicht folgen konnte. Ich ging an meinen Platz, der leider relativ weit weg war, aber ich konnte sie sehen. Das Dinner war wohlschmeckend und steif. Hauptsächlich wurden Visitenkarten und allgemeine Floskeln gewechselt. Eigentlich wäre es besser gewesen, ganz zu schweigen und von Sally zu träumen, aber das ging nun auch wieder nicht. Immerhin, einmal trafen sich unsere Blicke, ich winkte ihr unauffällig zu und sie winkte zurück.

Ich weiß nicht, was mich trieb, es kam einfach spontan über mich: als der Kaffee serviert wurde, ging ich an ihren Tisch beugte mich zu ihr und sagte laut: "Mrs. Carner, the driver is waiting for you at the entrance!" Sie zögerte keine Sekunde und erwiderte mit einem gewinnenden Lächeln:

"Oh thank you so much, I'm coming in a minute!". Und zu den erstaunt blickenden Botschaftsangehörigen gewandt: "Sorry, ich vergaß ganz zu sagen, dass ich noch eine dringende Verabredung habe!" Sie stand auf, bedankte sich, schüttelte allen die Hand und folgte mir aus dem Saal.

"Was für eine nette überraschung! Was wird das?"

"One Night in Bangkok!"

Sie sah mich fragend an. Ich winkte ein Taxi heran. "Wie wär's mit Table Dancing?" Ihr blieb regelrecht der Mund offen stehen, aber sie strahlte "Ist das dein Ernst?" Der Entertainment Complex war ein großer Hof mit zahlreichen offenen Bars, durchdrungen von lauter Musik, mit laufenden Fernsehern und Animierdamen, die so auf den Barhockern saßen, dass ihre kurzen Röcke und ihre Beine optimal zur Geltung kamen. Um den Hof herum waren dann auf drei Stockwerke verteilt die einzelnen Etablissements mit klingenden Namen und viel bunt blinkendem Neonlicht. Man wurde in sie gelockt, indem der Vorhang am Eingang zur Seite geschoben wurde, so dass man einen kleinen Blick in den dunklen Raum mit der hell erleuchteten Bühne werfen konnte, wo dann eben Table Dancing oder irgendwelche anderen Sex Shows liefen.

Alles war eigentlich sehr freundlich, die Mädels lachten, wenn sie versuchten, einen ins Innere zu ziehen, das Milieu war weder schmuddelig noch abstoßend und wirkte nicht halbkriminell, wie oft bei uns in den Bahnhofsvierteln. Ich kannte den Komplex. Die meisten meiner Besucher wollten so etwas unbedingt einmal sehen, schon alleine, um zuhause vom aufregenden Sex Life Bangkoks berichten zu können.

Ich wählte die Rainbow Bar. Das Besondere an ihr war, dass sie für Männer und Frauen etwas bot, denn in ihr gab es nicht nur Girls, sondern auch Ladyboys: Thailands schönste Frauen, die trotz Busen und atemberaubender Figur immer noch den kleinen Unterschied aufweisen konnten. In der Regel aber gut versteckt.

Die Bar war ziemlich voll, wir kriegten zwei Plätze in einer der erhöhten hinteren Reihen. Als erstes zogen wir unsere Jacken aus, aber niemand nahm groß Notiz davon, dass Sally eine Frau und wir etwas over dressed waren. Es gab auch noch einige andere Frauen unter den Gästen, aber die Männer waren natürlich bei weitem in der Überzahl. Das Bier wurde aus Flaschen getrunken, die in Styroporhüllen steckten, um kühl zu bleiben.

"Falls es dir peinlich wird, sag es, wir gehen dann sofort, ich kenne es ja!"

Sie strahlte mich an. "Keine Angst, ich sage rechtzeitig Bescheid!"

Auf der Bühne war gerade eine Gruppe echter Girls. Sie trugen schwarze Reizwäsche, hielten sich an den Stangen fest und tanzten ziemlich lahm zu "Give me your love after midnight..." An der Hüfte hatten sie kleine Plaketten mit Nummern, die konnte man dann einem der Kellner nennen, um die Dame zu sich zu bitten, ihr einen Drink zu spendieren und ein wenig herum zu turteln, bis dahin, dass man sie mit nachhause nehmen konnte.

Die Gruppe verschwand und zwei Girls in Tangaslip und Halbschalen-BH, der die Brustwarzen frei ließ, kamen. Jetzt ging es schon mehr zur Sache: sie tanzten etwas leidenschaftlicher, wobei am meisten der Unterkörper in Aktion trat, dann streichelten sie sich gegenseitig, zogen sich die BH's aus und schließlich wurde noch eine Schale mit Seifenschaum auf die Bühne geschoben, damit bestrichen sie sich lange und hingebungsvoll, bis sie völlig weiß bedeckt waren. Die Tangas blieben dabei an.

Ich beobachtete Sally. Sie schien ganz und gar hingerissen, hatte die Bierflasche in der Hand, nippte hin und wieder daran, starrte auf die Bühne und benahm sich eigentlich nicht anders als die Mehrzahl der Männer in der Bar.

Als nächstes kam ein Striptease, bei dem das Girl mindestens sieben zarteste Slips übereinander trug, was man nicht sehen konnte. Jedesmal dachte man natürlich es wäre der letzte und jedesmal zog sie das zarte Gebilde einem der Männer, die direkt an der Bühne saßen, über den Kopf. Am Ende stand sie dann tatsächlich für einen kurzen Moment nackt da, kleine Brüste und wohlgetrimmte Schamhaare zeigend, dann ging das Licht der Bühne aus und sie verschwand im Dunkeln.

"Und?" fragte ich Sally. "Oh, ich bin so froh, dass ich es endlich einmal sehe. Bisher ist niemand mit mir zu so etwas gegangen!"

Dann kamen die Ladyboys. Sie trugen verschiedene Glitzerklamotten und je "weiblicher" ihr Körper an Busen und Hüften war, desto freizügiger war ihr Outfit. Und natürlich waren sie fantastisch geschminkt und hatten gestylte Frisuren. Sie flirteten aggressiv ins Publikum, suchten den Augenkontakt, machten obszöne Gesten, befummelten sich gegenseitig...die Stimmung stieg rapide an. Und als schließlich "Bye, bye Miss American Pie..." gespielt wurde, da tanzte die ganze Bar, Sally und ich auch und wir sangen laut mit. Sally hatte mich beim Tanzen um die Hüften gefasst und ich tat dasselbe und wir stießen unsere Hintern gegeneinander.

Als wir wieder saßen, kam einer der Ladyboys, setzte sich auf meinen Schoß, schmiegte sich an mich, sagte "Sorry, Madame!" und griff mir ungeniert zwischen die Beine. Und was tat Sally? Sie fuhr wie eine Wildkatze nach vorne, schubste seine Hand weg, schmiss sich an mich, schützte mit ihrer Hand meine Genitalien und fauchte ihn lachend an: "Wie kannst Du es wagen, das gehört alles mir!" "Oh, sorry, Madame!", er nahm meine Hand, drückte sie an seinen Busen, gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Sally lachte, nahm meine andere Hand, drückte sie an ihre Brust und gab mir ebenfalls einen Kuss.

Als ein Blumenverkäufer vorbeikam, kaufte ich einen Strauß weißer Rosen. "Für die attraktivste Frau hier im Raum!" Sie sah mir in die Augen, strahlte und ich sah, dass ihre Augen ein kleines bisschen wässrig wurden, so wie meine.

Das Ende war kurz. Sie verschwand noch einmal auf die Toilette, dann mussten wir gehen. "Soll ich Dich..." "Nein" antwortete sie, bevor ich den Satz vollendet hatte. Am wartenden Taxi umarmten wir uns fest, küssten uns zärtlich auf den Mund, ich sagte "Sally, du bist wunderbar!" "Du auch!" erwiderte sie, machte sich von mir los, drückte mir ein kleines Päckchen in die Hand und glitt ins Auto. Als es losfuhr, hielt sie die weißen Rosen an die Scheibe und warf mir eine Kusshand zu.

Sobald ich in meinem Taxi saß, nahm ich mir ihr Päckchen vor. Das Einwickelpapier war ein Plakat, das für den Gebrauch von Kondomen als Schutz vor AIDS warb und in allen Toiletten hing. Daraus zum Vorschein kam ein schwarzes Spitzenhöschen. Es roch nach ihrem Parfüm und war im Schritt feucht. Ich setzte mich so, dass der Fahrer mich nicht im Rückspiegel sehen konnte, dann hielt ich mir die anregend duftende Erinnerung vor die Nase, atmete tief ein und dachte: Sally, du bist wirklich wunderbar!

Peer - Dezember 2004