Das gleiche Geschlecht oder „Denke ich an Rom…“

Statuen in Rom

Denke ich an Rom, dann denke ich an die Stadt, die ich liebe…und an Ricardo.

Ich traf ihn in Trastevere. Die Nacht war warm, Lichter tanzten auf dem Fluss, die Autos schoben sich hupend voran, in der Ferne strahlte die Engelsburg.

Mit vielen anderen schlenderte ich durch die Gassen… Trattoria Barroso, Tavola Calda, Marcelleria, rohes Fleisch an Haken von grellen Scheinwerfern beleuchtet, Barbiere Robini, Profumeria, suesser Duft nach Seife, Pasticceria, Bar Sale e Tabacci, Männer die palaverten, Banco di Santo Spirito, chiuso…durch den lauen Abend gehen, Menschen sehen, Schilder lesen… Irgendwann wollte ich essen. Draussen. Auf der Piazza della Santa Maria in Trastevere. Zahlreiche Kneipen, Tische und Stuehle standen einfach auf dem Pflaster vor dem jeweiligen Lokal.

Voll war es um diese Zeit. Ich suchte einen freien Platz…und traf seine Augen.

Er hatte lange schwarze Locken, etwa mein Alter, hockte an einem Vierertisch, ihm gegenueber zwei Blondinen, sahen aus wie Amerikanerinnen.

Er machte eine einladende Bewegung mit dem Kopf auf den Platz neben sich. Es war, als habe er ausgerechnet mich aus den Scharen der Flaneure gewählt. Ich stockte, aber er wiederholte die Geste.

Zögernd ging ich auf den Tisch zu, er hielt Blickkontakt, streckte mir seine Hand hin, ein weicher Händedruck, „Ricardo“.

Die Namen der Mädchen erinnere ich nicht mehr.

Wir aßen gegrillte Fische und Salat, rissen Brotstücke auseinander, tranken Rotwein, plauderten…zwei Männer, zwei Frauen, ein Italiener, drei Ausländer.

Ricardo hatte bezahlt, ohne dass wir es bemerkten. Er schlug vor, in eine Discothek zu gehen. Wir fuhren in einem offenen roten Sportwagen, die Mädchen hinten, sie schienen nicht sonderlich an uns interessiert, wollten aber trotzdem mit.

Die Disco war laut und brechend voll. Ich schob mich durch die Massen in Richtung Tanzfläche, gewoehnte mich an das zuckende Licht im Dunkel und als ich mich umdrehte, hatte ich die anderen verloren. Ich tanzte.

Er fand mich irgendwie im Gewühl und stand mir plötzlich gegenueber. Tanzte mit mir. Ich konnte es an seinen Bewegungen sehen, die mit meinen zu korrespondieren suchten. Wir sahen einander kaum an, sprechen war bei dem Lärm sowieso nicht möglich.

Irgendwann zog er mich am Arm aus dem Gedränge und als es leiser wurde, beugte ich mich zu ihm: „Ich will was trinken!“

Er nickte, schob mich aus dem Lokal in die weichere Geräuschkulisse der Stadt. Wir fuhren und verloren uns in einem Gewirr kleiner Gassen, die sich einen Hügel hoch zogen. Er hielt, wir gingen durch die dunkle Toreinfahrt eines ockerfarbenen Gebäudes, ueber den naechtlichen Hof, stiegen in einen Lift mit eisernen Scherengittern.

Die Wohnung hatte mehrere nicht sehr grosse Zimmer, wirkte jedoch durch die sparsame und stilvolle Moeblierung geräumig. Weiss gekalkt, moderne Bilder an den Wänden.

Er öffnete eine Tür und wir traten auf eine üppig mit Palmen und Oleander bepflanzte Terrasse. Zwei Liegen gab es, mit blau-weiss gestreiften Matratzen, ein Tischchen dazwischen, einen zugeklappten Sonnenschirm…und einen atemberaubenden Blick auf Rom.

Ich trat an die Brüstung und liess meine Augen schweifen. Vom erleuchteten Reiterstandbild Garibaldis auf dem Gianicolo über das Netz der gelben Strassen, die Kuppel des Vatikans bis zu den dunklen Umrissen des Hügels der Villa Borghese. Darüber der unendliche Himmel, an dem nur die hellsten Sterne zu sehen waren.

Er trat neben mich und reichte mir ein Glas Wein. Es war die Art, wie er das tat, die mich plötzlich erkennen liess, dass er mir nicht absichtslos seine Zuwendung schenkte. Er legte einen Arm um meine Taille und als er merkte, dass ich zuckte, nahm er ihn wieder zurück. Wir legten uns jeder auf eine Liege, stellten die Gläser ab, sahen uns an und schwiegen eine Zeit lang.

„Ich bewundere deinen schönen Körper, deine tiefen, melancholischen Augen“, er zögerte etwas, „und ich begehre dich.“

Er sagte es ruhig, ohne Lächeln, ohne Falschheit und ich spürte, wie die Stimme tief in mich eindrang.

Noch nie hatte ein Mensch so zu mir gesprochen. Ich war völlig verwirrt. Und mitten in diese Verwirrung hinein, streifte es mich, dass man so eigentlich nur zu Frauen sprach.

Und vielleicht war es das, was einen Knoten in mir löste, ich spuerte es physisch, eine Welle der Befreiung durchdrang mich…und mit ihr wurde mir klar, was ich wollte.

Ich wollte Frau sein, hier und jetzt, über den Häusern und unter dem weiten Himmel Roms, wollte ihm all das geben, was er begehrte, mit Freuden geben, alles geschehen lassen, wusste, dass es richtig sein würde und dass ich befreit war von allen Hemmungen…

Ich drehte ihm meinen Körper zu, sah ihm in die Augen und lächelte.

– Peer –