Zuviel Nähe tötet die Erotik

Dass es entgegen dem medial vermittelten Eindruck in vielen real existierenden Beziehungen mit Sex und Erotik nicht zum Besten steht, liest man immer mal wieder. Mehr Stress im Beruf,  Versagensängste, das Hormongeschehen – viele Gründe werden benannt, doch nur selten der Haupt-Stolperstein, der die Lust allzu bald durch die „Last mit der Unlust“ ersetzt: zuviel Nähe.

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Dabei wissen es im Grunde alle aus eigener Erfahrung: Im gemeinsamen Alltag tritt das Begehren irgendwann in den Hintergrund, das frühere erotische Knistern wird immer seltener und hört vielleicht sogar ganz auf. „Von selber“ geht dann gar nichts mehr,  statt dessen BEMÜHEN sich die Partner, die Frequenz auf einem Level zu halten,  dass sie gerade noch sagen können: wir haben KEIN Problem mit Sex! Und während „es“ dann stattfindet, wandern die Gedanken der Beteiligten je eigene Wege ins höchst persönliche Kopfkino.

Erotik hat nun mal etwas von Jagd, braucht das Erobern und Verführen, spielt mit Dominanz und Hingabe, Widerstand und Verlockung, Nähe und Distanz. Und das geht nun mal nicht mit jemandem, der „ein Teil von mir“ geworden ist: Selbstbefriedigung mit Partner ist nicht wirklich verlockend.

Alle wissen es, aber kaum jemand sagt es  – es ist fast ein Tabu. Das liegt daran, dass die Sehnsucht nach Nähe, nach unverstelltem Miteinander, nach (möglichst bedingungslosem) angenommen werden heute der einzig real gefühlte Grund ist, überhaupt eine „Beziehung“ zu wünschen. Die  soll dann „ganz anders“ sein als das anstrengende Leben da draußen, in dem man dauernd beweisen muss, wie toll man ist:  Heimat und Bollwerk gegen Kälte und Einsamkeit. Solange WIR ZWEI uns verstehen, ist alles in Ordnung…

Wirklich? Paare, die den Weg in die Symbiose antreten, zahlen einen hohen Preis. Das kuschelige Miteinander wird bald so lieb und geschwisterlich, ein reiner Hort des „Guten“, so dass Sex eigentlich gar nicht mehr passt – jedenfalls nicht der Sex, der in den Fantasien statt findet, die nichts mehr mit den netten Pflichtvereinigungen ein oder zweimal pro Monat zu tun hat, die man vielleicht noch gutwillig praktiziert.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Warum es dann nicht lieber ganz lassen? Wer sagt denn eigentlich, dass Sex mit dem Lebensgefährten immer weiter statt finden muss – auch dann, wenn es uns gar nicht mehr so danach gelüstet?

Tja, hier liegt der zweite Hund begraben: Wir haben schon Lust auf Sex und bleiben erotisch ansprechbar – nur der Partner mutiert so langsam zum Neutrum. Weil es aber kaum jemand wagt, ganz offiziell die sexuelle Ausschließlichkeit aufzukündigen, die allgemein für „ernsthafte Beziehungen“ gefordert wird, muss man eben nehmen, was man hat (aber eigentlich gar nicht mehr will).  Und so tun, als sei alles super, während die Umfragen zum Thema Seitensprünge Bände sprechen!

So blutet die Partnerschaft dann auch emotional und geistig aus, nachdem sie schon erotisch sanft entschlafen ist. Man lebt ein Miteinander voller Kompromisse, Rücksichtnahmen und Halbheiten, will den Partner schonen und nie die gute Stimmung gefährden. Man kann nicht mehr offen „über alles“ miteinander sprechen und verliert letztlich das, worum es eigentlich gegangen ist:  Nähe ist nur noch Fassade, in Wahrheit sind beide im engsten Miteinander einsam.

Rezepte helfen nur kurz

Rezepte zur erotischen Belebung der Partnerschaft gibt es viele: andere Zeiten und Orte, andere Klamotten, Rollenspiele, gemeinsame romantische Wochenenden in einer neuen Umgebung. All das ist nicht falsch und meist auch kurzzeitig wirksam – aber auf die Dauer? Solche Anstrengungen können nur Symptome lindern, die Dinge aber nicht wirklich wenden. Selbst „großes Geschütz“ wie gemeinsame Besuche in der Swingerszene, Partnertausch etc. kann sich abschleifen und bald wieder in die große Langeweile münden, wenn nicht BEIDE bereit sind, sich wieder mehr als Individuum zu sehen, nicht als „nur mit Partner vollständiges“ Wesen.

Erotik genießt gerade die Andersheit des Anderen und braucht die Polarisierung von Gegensätzen – sonst entsteht keine Spannung, die sich in der Vereinigung entladen möchte. Leider ist es gerade diese Andersheit, die zwar zuerst fasziniert, schon bald aber Grund für allerlei Umerziehungsanstrengungen wird. Es ist nicht leicht, den Partner MIT seinen Ecken und Kanten zu lieben und ihm eben aus dem Weg zu gehen, wenn diese Kanten nerven, anstatt sich aufs „Abschleifen“ zu verlegen. Eigene Wege gehen, die der Partner nicht mitgeht, eigene Freunde haben, die nicht auch seine Freunde sind – Paare geben allzu oft alles Trennende auf, isolieren sich in ihrer gemütlichen Zweisamkeit und sind ängstlich darauf bedacht, dass nur ja nichts die Idylle stört.

Wer es anders macht, hat es in der Beziehung vielleicht weniger kuschelig – aber erotisch knistert es immer wieder ganz von selbst!

10 Gedanken zu „Zuviel Nähe tötet die Erotik“

  1. Liebe Claudia,
    da bis jetzt nur ein Kommentar zu diesem Artikel dasteht, möchte ich doch aus meinem Erfahrungsschatz ein bisschen konterkarieren.
    Engelbert und ich sind seit 30 Jahren ein Paar, seit 2001 sogar verheiratet. Und wir haben in der Regel einmal die Woche Sex. Zu festen Zeiten, nämlich am Sonntag. Engelbert macht vorher eine Kundalini-Medi, dann massieren wir uns gegenseitig, um die Körper aufeinander einzustimmen. Es geht dabei nicht um Erotik und Begehren, sondern uns aufeinander einzulassen. Wir lassen uns Zeit, meistens mehr als eine gute Stunde. Und es ist immer wieder ein neues Erleben, eine Entdeckungsreise, von beiden. Ich weiß nie, wie mein Körper diesmal reagiert. Die gegenseitige Vertrautheit lässt Experimentieren zu. Lässt zu, dass es auch einmal nicht so schön ist. Aber meistens sagen wir: Diesmal war es besonders schön. Und wenn wir dann nicht mehr nebeneinander liegen, bleibt ein beglückendes Gefühl zurück. Manchmal über Tage.
    Es ist schwer zu beschreiben, was unser Geheimnis ist. Einmal schlafen wir in weit voneinander entfernten Zimmern. Das lässt keinen gewohnheitsmäßigen Kuschelsex zu. Andererseits fühle ich mich meistens erotische Energie in meinem Körper, ohne ständig nach Entspannung zu trachten. Und wir unterscheiden zwischen Anspruch und Bedürfnis.

  2. @Nila: danke für deinen wunderbaren Beitrag! Du bist zu beglückwünschen zu dieser Beziehung, die das Erotische mit außergewöhnlicher Achtsamkeit zelebriert. Ich empfinde das gar nicht als „konterkarieren“ dessen, was ich beschrieb, sondern als eine gute Ergänzung und Fortführung mit einem selbst erfahrenen Beispiel, dass es auch anders geht. Anders als in den Beziehungen, die mittels immer mehr „bewusstloser Nähe“ das Gefühl des Allein-Seins vertreiben wollen – und damit dann Routinen erschaffen (z.B. „gewohnheitsmäßiger Kuschelsex“), die auf Dauer eher zum Absterben erotischen Interesses aneinander führt. Dass Ihr nicht in einem Zimmer schlaft, ist z.B. schon mal eine tolle Voraussetzung – aber wie viele Paare halten das so?

  3. Hallo Claudia! Als ich Deinen Text las, dachte ich auf einmal: Nein, es ist eher ein zuwenig an Nähe, das die Erotik tötet. Habe dazu einen Eintrag in mein Blog eingestellt: http://kleinessexblog.blogspot.com/2009/03/erotik-nahe-lust.html
    Mal sehen, ob er hier hinein passt:
    Immer wieder lese ich, dass die wilde Lust aufeinander in einer Beziehung schwindet. Und als Grund wird meistens genannt, dass zwischen den Partnern zuviel Nähe sei. Zuviel Alltag, zu viele Selbstverständlichkeiten, zu wenig unterschiedliche Interessen und zu wenig Alleingänge in der Freizeit.
    Doch wenn das wahr wäre, dann dürfte es für alle Paare, die länger zusammen leben und vielleicht sogar auch sehr gerne ihre Freizeit miteinander verbringen, kaum eine Chance geben, das Sexleben über die Jahre hinweg lebendig zu halten. Welch dunkle Aussichten!
    Ich glaube nicht, dass zuviel Nähe die Erotik tötet, sondern vielmehr, dass die Angst vor mehr Nähe und Verbindlichkeit die Erotik ermüden lässt.
    Die Symptome mögen die gleichen sein: man passt sich aneinander an, probiert wenig Neues aus, weil man meint, den anderen zu kennen und zu wissen, was der mag oder nicht. Man ist selbst auch nicht mehr so offen bzw. neugierig oder auch einfach zu bequem, das Feuer neu zu beleben.
    Doch die darunterliegende Ursache ist meiner Meinung nach, dass eher die Angst vor mehr Nähe es verhindert, sich auch im Bett nah zu sein. Denn was passiert denn, wenn man sich näher kommt? Man macht sich verletzlich, man lässt sich mehr gehen. Es können Gefühle auftauchen, die man gar nicht spüren will. Seien es alte Verletzungen oder ein tiefes Gefühl der Liebe und Verbundenheit, das man vielleicht lieber gar nicht spüren möchte, weil man Angst hat, emotional abhängig zu werden.
    Oder in die andere Richtung gedacht? Wieviel Extase halten Sie eigentlich aus? Trauen Sie sich wirklich alles loszulassen? Sind Sie in der Lage wirklich die Kontrolle loszulassen? Oder haben Sie Angst vor dem, was passieren könnte?
    Was passiert, wenn Sie Wünsche äußern, die der andere nicht erfüllen mag? Was dann? Gerade in einer monogamen Beziehung haben viele Männer und Frauen dann in der Endkonsequenz Angst, vom Partner verlassen zu werden.
    Wenn zuviel Nähe die Erotik töten würde, dann würde Tantra nicht funktionieren. Denn beim Tantra geht es zu einem wesentlichen Teil genau darum, sich emotional näher zu kommen. Sich mehr und tiefer zu verbinden, mit sich selbst und mit dem Partner, um die Lust zu schüren.
    Die Frage ist also nicht die nach der vorhanden oder nicht vorhandenen Nähe, sondern die danach, wie viel ich mir und meinem Partner an Nähe bzw. Offenheit zutraue.
    Trauen Sie sich ruhig einmal, sich ihrem Partner bzw. Ihrer Partnerin wirklich ganz zu zeigen, auch mit den Seiten, die vielleicht nicht gleich so schön sind. Nutzen Sie ruhig die vorhandene Vertrautheit, um mehr zu wagen und sich noch näher zu kommen!
    Ich wünsche Ihnen aufregende Stunden mit ganz viel Nähe!

  4. Danke für den tollen Beitrag, Silke. Mir scheint aber, wir beschreiben verschiedene Phänomene: ich meine diejenigen, die Erotik in ihrer ersten, sehr verliebten Beziehungsphase durchaus umfassend miteinander ausleben, die DANN ABER, wenn das Gegenüber sehr nahe und vertraut geworden ist, merken, dass das Verlangen schwindet. Es tritt dann so ein geschwisterliches „Wir-Gefühl“ ein, dass der erotischen Spannung irgendwie entgegen steht – nie erlebt?

    Du beschreibst dagegen Paare, die erst gar nicht intensiv ins erotische Leben eintauchen, sondern – vielleicht ein wenig schüchtern und verklemmt – miteinander so einen gewohnheitsmäßigen Standardsex entwickeln, der sie in Wahrheit gar nicht so sehr berührt. Für sie gilt ohne Zweifel: zu WENIG Nähe! Zu wenig Mut etc.

    Das mit dem Alltag hab ich schon unzählige Male gehört: schon allein dieses automatische in einem Bett schlafen (wegen der kuscheligen Nähe und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit) ist m.E. auf Dauer ein Erotik-Killer. Anfänglich ist man noch so begeistert und angeturnt, dass der Partner ruhig schnarchen (=nur 1 Beispiel) kann, Hauptsache, er ist nahe…. aber irgendwann wird das zum Abturner, wie auch alle anderen allzu menschlichen Eigenheiten, die man so dauernd hautnah mitbekommt. Da liegen dann Welten zwischen dem Routine-Sex, der noch beiläufig zustande kommt, und dem spannenden Spiel, für das man sich einst extra schön machte, auf das man sich tagelang freute – und das eben davon lebt, dass da eine gewisse Distanz ist, die erst im Laufe der Annäherung aufgehoben wird.

    Kann auch sein, dass es eine Typ-Frage ist oder sich mit dem Lebensalter ändert: Ich hab Ende dreißig mit den tendenziell symbiotischen Nahbeziehungen aufgehört und pflege seither zu meinen Liebsten eine gewisse Distanz, die bedeutet, dass man sich gegenseitig mit dem allzu Alltäglichen verschont. Was nicht heißt, dass man nicht Freizeit & Hobbys teilt – aber eben nicht die Küche, den Abwasch, die Morgenmuffel-Zeit und dasselbe Bett. (Und seitdem ist mir Erotik wieder Abenteuer! :-)

  5. Hallo Claudia!
    Was mir gerade auffällt: ich glaube, ich bin mal wieder in die Falle gegangen. Es gibt nicht DIE Lösung. Für manche ist es die Nähe, für andere die Distanz, manche müssen sich trauen zu öffnen, andere müssen Grenzen setzen. Insofern haben wir alle Recht :-)Nur nicht immer auf alle bezogen, sondern je nach Situation und „Zielgruppe“.

  6. Also pauschal gesagt, genau so ist es. Leider. Und was’de machst ist nur Flickschusterei. Nur was wills’de denn machen? Das hat ja nun garnichts mit Anpassen zu tun, selbst wenn man eigentlich Bock auf Sex hat und dem/r Partner/in Sex och wichtig ist … ich will’s ‚mal anders formulieren, wobei das nur den Aspekt ‚Lust‘ umschreibt: Klar kann man aus einer Kartoffel Pell-, Bratkartoffeln, Püree oder Pommes machen, nur irgendwann sind zur Abwechslung beispielsweise och ‚mal Nudeln ganz dufte. Ehrlich wär’s eigentlich die Beziehung – welche man eh nie wollte – zu begraben und auseinander zu gehen.

  7. Für mich persönlich gesprochen: Ich sehe es so, dass das richtige Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz gefunden werden muss. Dies gilt meines Erachtens nicht nur für den erotischen Aspekt einer Beziehung, sondern auch in allen Belangen. Mir ist es wichtig, dass ich mit meinem Partner in einem Raum sein kann, dennoch befindet man sich häufig auf „zwei verschiedenen Planeten“, ohne dass dies unangenehm wäre. Gerade diese Distanz schafft paradoxerweise Nähe, weil respektiert wird, dass jeder als Individuum funktioniert, obwohl man meinetwegen gemeinsam an einem Tisch sitzt. Kein gezwungenes Miteinander, sondern ein ungezwungenes „jeder für sich selbst“. Ganz ähnlich ist es doch beim Sex. Ich empfinde es nicht als ein „gemeinsames“ Erlebnis – auch wenn es natürlich eines ist – sondern als „gegenseitiges“ Erlebnis. Gegenseitig tut man einander gut, doch es muss nicht zum absolut gemeinschaftlichen Event vorangetrieben werden. Ein wenig Egoismus beim Sex – und in der gesamten Beziehung – macht die Erotik prickelnd, sofern man seinen Partner nicht völlig außen vor lässt, was die Liebe automatisch bringt, sofern man seinen Partner wirklich schätzt und sich von ihm geschätzt weiß.

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